Hold-up Time beim Netzteil: Bedeutung, Berechnung und Auslegung in Systemen

Kurz erklärt: Was bedeutet Hold-up Time?

Die Hold-up Time (deutsch: Überbrückungszeit) beschreibt die Zeitspanne, in der ein Netzteil bei einem Spannungsausfall weiterhin eine stabile Ausgangsspannung liefert. Sie wird in Millisekunden (ms) gemessen und hängt von der im Zwischenkreis gespeicherten Energie ab. In der Praxis entscheidet sie darüber, ob Systeme bei kurzen Spannungseinbrüchen störungsfrei weiterlaufen – oder ungewollt abschalten.

Kurzdefinition: Die Hold-up Time ist die Dauer, in der das Netzteil nach Wegfall der Eingangsspannung seine Ausgangsspannung aufrechterhält.

Warum ist die Hold-up Time wichtig?

In modernen Industrieanlagen, IT-Systemen und Medizingeräten können bereits Millisekunden über Stabilität oder Ausfall entscheiden. Wenn die Netzspannung kurzzeitig zusammenbricht, darf das System nicht sofort stillstehen – insbesondere bei Steuerungen, SPS, Relais und Kommunikationsmodulen.

Die Hold-up Time sorgt in solchen Momenten für Betriebssicherheit. Sie ermöglicht, dass Daten gespeichert, Prozesse beendet oder redundante Systeme greifen können, bevor die Spannung endgültig abfällt. Eine zu kurze Überbrückungszeit kann dagegen Fehlfunktionen, Reset-Zustände oder Anlagenstillstände verursachen.

Einflussfaktoren und typische Werte

Die Hold-up Time wird beeinflusst durch:

  • Eingangsspannung und deren Abfallrate: Je schneller der Spannungseinbruch, desto kürzer die verfügbare Energie.
  • Energieinhalt der Zwischenkreiskondensatoren: Größere Kapazitäten verlängern die Überbrückungszeit.
  • Leistungsaufnahme der Last: Je höher die abgegebene Leistung, desto schneller entlädt sich der Energiespeicher.

Typische Werte liegen zwischen 10 ms und 30 ms. Für industrielle Steuerungen, Bahntechnik oder Medizingeräte werden häufig 40–50 ms gefordert, während PC- und Server-Netzteile nach ATX-Norm mindestens 17 ms bereitstellen müssen.

Normen und Anforderungen

Wichtige Normen und Richtwerte für Netzteile:

Norm / StandardTypische AnforderungAnwendungsbereich
ATX 2.2≥ 17 ms bei 100 % LastIT- und PC-Netzteile
EN 61000‑4‑11Prüfnorm für Spannungseinbrüche und KurzunterbrechungenIndustrie, Automatisierung
EN 62368‑1 / IEC 61010Sicherheitsanforderungen, enthalten Richtwerte für MindestüberbrückungszeitenMess‑ und Steuertechnik

In industriellen Umgebungen sollten Netzteile so ausgelegt sein, dass Kommunikations- und Steuerungssysteme bei Spannungseinbrüchen unter 20 ms stabil bleiben. Besonders in vernetzten Produktionslinien kann ein kurzer Abfall der Versorgungsspannung bereits zu Fehltriggerungen oder Synchronisationsfehlern führen.

Berechnung der Hold-up Time

Die Hold-up Time ergibt sich aus der gespeicherten Energie der Zwischenkreiskondensatoren. Grundlage ist die Energiebilanzformel:

E = (1/2) × C × (Vu2 – Vend2)

Diese Energie muss ausreichen, um die Ausgangsleistung P über die gewünschte Zeit thold zu liefern:

thold = [C × (Vu2 – Vend2)] / (2 × P)

Beispielrechnung:
Ein Netzteil mit 24 V / 5 A (= 120 W) soll eine Hold-up Time von 20 ms erreichen. Die Spannung im Zwischenkreis beträgt 400 V und darf bis auf 300 V abfallen.

C = [2 × 120 × 0,02] / (400² – 300²) ≈ 4,4 mF

Das ergibt eine erforderliche Kapazität von rund 4400 µF. Wird eine längere Zeit angestrebt, muss die Kapazität entsprechend erhöht werden.

Tipp: Kalkulieren Sie mit einem Sicherheitsfaktor von mindestens 20 %, um Alterung und Temperaturdrift zu kompensieren.

Einfluss von Temperatur und Alterung

Mit zunehmender Betriebsdauer verlieren Elektrolytkondensatoren an Kapazität – besonders bei hohen Temperaturen. Eine Verringerung der Kapazität um 20 % nach mehreren Jahren ist keine Seltenheit. Dadurch sinkt die effektive Hold-up Time spürbar. Daher sollten Netzteile mit hochwertigen Kondensatoren oder erweiterten Pufferlösungen bevorzugt werden.

Praxis: Auslegung und Optimierung in Systemen

1. Lastverhalten und Leistungsaufnahme
Bei dynamischen Lasten, wie sie in Robotik oder Antriebstechnik auftreten, schwankt der Energiebedarf stark. Eine Reserve von 25–30 % sollte eingeplant werden, um Lastspitzen sicher abzufangen.

2. Puffermodule und Zusatzkondensatoren
Spezielle Puffermodule oder Supercaps erhöhen die Überbrückungszeit deutlich – teils um mehrere hundert Millisekunden. In Kombination mit DC-USV-Modulen können kritische Steuerungen selbst bei mehrsekündigen Netzausfällen stabil bleiben.

3. Auswahl geeigneter Netzteile
Nicht jedes Netzteil mit gleicher Leistung hat dieselbe Hold-up Time. Prüfen Sie daher die Herstellerangabe „Hold-up Time @ Full Load“ und berücksichtigen Sie Unterschiede in Topologie, Kondensatorgröße und Effizienz.

4. Kompromisse und Designaspekte
Eine größere Kapazität verlängert zwar die Überbrückungszeit, erhöht aber auch den Einschaltstrom (Inrush Current), die Baugröße und die Kosten. Ein ausgewogenes Design nutzt Hybridlösungen – etwa mehrere kleinere Kondensatoren oder aktive Energiespeicher – um Leistung, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit optimal zu kombinieren.

5. Tests und Validierung

  • Brown-out-Simulation: Test des Systemverhaltens bei kurzzeitigen Spannungseinbrüchen.
  • Messung mit Oszilloskop: Ermittlung der exakten Haltezeit bis zur Spannungsunterschreitung.
  • Langzeittest: Simulation gealterter Komponenten zur Lebensdauerbewertung.
  • Vergleichstest: Gegenprüfung mit PC-Netzteilen oder Consumer-Modulen zur Plausibilisierung.

Spannungsverlauf bei Netzausfall

Ein typischer Verlauf der Ausgangsspannung bei einem plötzlichen Spannungsausfall:

Zeit (ms)Eingangsspannung (V)Ausgangsspannung (V)
023024
520024
1015023,9
1510023,8
20023,5 (Ende Hold-up)

Dieses Beispiel zeigt, dass das Netzteil innerhalb von 20 ms seine Ausgangsspannung stabil hält, bevor die Energie aus dem Zwischenkreis erschöpft ist.

FAQ: Häufige Fragen zur Hold-up Time

Was passiert, wenn die Hold-up Time zu kurz ist?
Das System verliert Spannung, bevor Daten gespeichert oder Prozesse sauber beendet wurden. In Steuerungen kann das zu Fehlfunktionen oder Datenverlust führen.

Wie kann ich die Hold-up Time messen?
Mit einem Oszilloskop wird der Spannungsverlauf am Ausgang des Netzteils während eines simulierten Netzausfalls gemessen. Die Zeit bis zum Unterschreiten der Nennspannung ergibt die Hold-up Time.

Wie verlängere ich die Hold-up Time ohne großen Umbau?
Durch den Einsatz externer Puffermodule, größerer Zwischenkreiskondensatoren oder Netzteile mit integrierter DC-Backup-Funktion.

Welche Rolle spielt die Netzfrequenz (50 Hz vs. 60 Hz)?
Die Netzfrequenz bestimmt die Zeit pro Periode. 20 ms entsprechen einer halben Netzperiode bei 50 Hz – bei 60 Hz sind es etwa 16,7 ms.

Vergleich zu PC- und Consumer-Netzteilen

Im Gegensatz zu Industrieanwendungen sind PC-Netzteile meist nur auf kurze Spannungseinbrüche ausgelegt. Eine Hold-up Time von 16–20 ms genügt, um innerhalb der Netzfrequenz stabil zu bleiben. In industriellen Systemen dagegen werden oft 20–50 ms gefordert, um längere Umschaltzeiten oder Relaisverzögerungen zu kompensieren.

Praxisbeispiel: Eine SPS mit einer Speicherzeit von 15 ms verliert bei 10 ms Hold-up Time bereits Daten. Erst ab 20 ms ist ein sicherer Shutdown gewährleistet.

Die Hold-up Time ist ein entscheidender Qualitätsparameter für die Zuverlässigkeit industrieller Stromversorgungen. Sie stellt sicher, dass Systeme bei Spannungseinbrüchen stabil bleiben und keine unkontrollierten Ausfälle auftreten. Eine gezielte Auslegung unter Berücksichtigung von Lastprofil, Kondensatoralterung und Systemdynamik ist daher unerlässlich. Mit Puffermodulen, Supercaps oder optimierten Zwischenkreisdesigns lässt sich die Überbrückungszeit erheblich verlängern.