Was ist eine Zugentlastung?
Eine Zugentlastung verhindert, dass mechanische Kräfte direkt auf Leiter oder Klemmstellen übertragen werden. Sie sitzt an der Stelle, an der eine Leitung in ein Gehäuse, Gerät oder einen Schaltschrank eintritt.
Ziele einer Zugentlastung:
- Schutz der elektrischen Verbindung
- Vermeidung von Leiterbruch
- Schutz der Aderisolierung
- Stabilität bei Vibration und Bewegung
- Längere Lebensdauer der Leitung
- Einhaltung normativer Anforderungen (DIN EN 62444)
Warum Zugentlastung in der Industrie unverzichtbar ist
Eine zuverlässige Zugentlastung ist in Industrieumgebungen unverzichtbar, weil Leitungen hier nicht nur Energie oder Signale übertragen, sondern auch dauerhaft mechanischen Kräften ausgesetzt sind. Maschinen laufen im Dauerbetrieb, Anlagen erzeugen Vibrationen und viele Leitungen werden regelmäßig bewegt, gewartet oder nachjustiert. Damit steigt das Risiko, dass Kräfte ungewollt auf Klemmstellen oder Leiter übertragen werden – mit erheblichen Folgen für Sicherheit und Anlagenverfügbarkeit.
Industriesysteme werden häufig über viele Jahre betrieben und sind auf eine konstante Energie- und Signalversorgung angewiesen. Schon geringfügige Lockerungen, feine Leiterbrüche oder minimale Isolationsschäden können Messfehler, Notabschaltungen oder komplette Anlagenstillstände verursachen. Gerade im Maschinenbau und in der Automatisierungstechnik, wo Verfügbarkeit und Prozessstabilität entscheidend sind, zählt jede Komponente, die die elektrische Verbindung schützt. Auch in Branchen wie Pharma oder Lebensmitteltechnik gelten strenge Betriebsbedingungen, bei denen eine beschädigte Leitung nicht nur ein technisches, sondern ein hygienisches oder sicherheitsrelevantes Problem darstellen kann.
In industriellen Anwendungen treten gleichzeitig mehrere Belastungen auf:
- Vibration: Motoren, Pumpen, Verdichter, Werkzeugmaschinen
- Bewegung: Robotik, Achssysteme, Fördertechnik, Schleppketten
- Temperaturschwankungen: -40 °C bis +120 °C
- Zug- und Biegung: Bedienung, Montage, Zuglasten
Typische Schäden bei fehlender Zugentlastung:
- lose Klemmen → Kontaktprobleme
- gebrochene Leiter → intermittierende Ausfälle
- beschädigte Isolierungen → Kurzschluss / Brandgefahr
- Übergangswiderstände → Erwärmung & Ausfall
Kritische Branchen:
- Maschinenbau & Sondermaschinenbau
- Automatisierungstechnik, Robotik
- Lebensmittel-, Pharma-, Chemieindustrie
- Bau- und Außenanwendungen
Wie Zugentlastung technisch funktioniert
Zugentlastungen greifen unterschiedliche mechanische Prinzipien auf, um Kräfte sicher aufzunehmen. Dabei wirken axiale, radiale und torsionale Belastungen auf Leitungen.
Kraftfluss und Wirkprinzipien
1. Axiale Kräfte (Zug in Längsrichtung)
Axiale Belastungen entstehen, wenn eine Leitung nach außen gezogen wird. Ohne Zugentlastung wirken diese Kräfte direkt auf die Klemmstelle oder Leiter. Axiale Klemmung verhindert dieses Weiterleiten.
2. Radiale Kräfte (seitliche oder umlaufende Belastung)
Radiale Kräfte entstehen durch Biegung, Quetschung oder Vibration. Verschraubungen erzeugen umlaufenden Druck, der den Mantel formschlüssig hält.
3. Torsionale Kräfte (Verdrehung)
Torsion tritt bei Verdrehung des Kabels auf, z. B. bei Robotikachsen. Systeme mit großflächiger Klemmung oder Federmechanik reduzieren Weiterleitung dieser Kräfte.
Beispiel: Leitung ohne Zugentlastung
20 N Zugkraft (≈ 2 kg Gewicht) wirken direkt auf die Adern.
- Feindrähtige Leiter: hohe Bruchgefahr
- Massive Leiter: starre Übergänge → Isolationsschäden
- Klemmen lösen sich → Funktionsausfälle
Mit Zugentlastung wird diese Kraft komplett in das Gehäuse oder die Klemmmechanik abgeleitet, nicht in die Ader.
Zugentlastungssysteme nutzen unterschiedliche Wirkweisen:
- axiale Klemmung: Leitung wird längs fixiert (z. B. Klemmplatten)
- radiale Klemmung: Leitung wird rundum gehalten (z. B. Verschraubungen)
- formschlüssige Fixierung: Leitung wird geführt (z. B. Bügel, Kammsysteme)
- kraftverteilende Systeme: Schutzschläuche reduzieren Punktlasten
Die Wirksamkeit hängt ab von:
- Mantelhärte (weichere Mäntel benötigen größere Klemmflächen)
- Oberflächenbeschaffenheit
- Leitungstyp (Feindrähtig vs. massiv)
- temperaturabhängiger Materialveränderung
Normen und Prüfmethoden ## Technische Lösungen für die Zugentlastung für die Zugentlastung
Im industriellen Umfeld haben sich mehrere Systeme etabliert. Die optimale Lösung hängt u. a. von Leitungstyp, Schutzart, Vibrationsbelastung und Platzverhältnissen ab.
1. Klemmzugentlastungen (axiale Kraftaufnahme)
Klemmzugentlastungen arbeiten über mechanischen Druck.
Varianten:
- Klemmbacken (Kunststoff)
- Metallplatten (sehr robust)
- Federmechanik (für starke Vibrationen)
Vorteile:
- sehr hohe Haltekräfte
- vibrationsfest
- langlebig
Typische Anwendungen:
- Maschinengehäuse
- Motoranschlusskästen
- Anlagenbau
2. Kabelverschraubungen mit integrierter Zugentlastung
Kabelverschraubungen nach DIN EN 62444 kombinieren:
- Zugentlastung
- Abdichtung (IP67 / IP68 / IP69K)
- Knickschutz
- EMV-Optionen
Einsatzfälle:
- Außenanwendungen
- Schaltschränke
- chemisch anspruchsvolle Umgebungen
3. Knickschutztüllen & Spiralschoner
Schützen den kritischen Übergang zwischen Leitung und Gehäuse.
Ideal bei:
- flexiblen Leitungen
- Sensorleitungen
- mobilen Geräten
4. Zugentlastungsleisten, Bügel & Kammsysteme
Systeme für mehrere Leitungen gleichzeitig.
Vorteile:
- perfekte Ordnung
- hohe Haltekraft durch Kabelbinderführung
- ideal für Schaltschränke
5. Schutzschläuche & Wellrohre
Diese verteilen Kräfte über eine größere Fläche.
Nutzen:
- Abriebschutz
- Schutz vor Öl / Feuchtigkeit
- weniger Belastung am Gehäuseeintritt
Vergleich der wichtigsten Zugentlastungssysteme
Einfluss von Mantelmaterialien auf die Haltekraft
Mantelmaterial beeinflusst direkt, wie gut ein Zugentlastungssystem greift. Unterschiedliche Reibwerte, Härten und Flexibilitäten führen zu stark variierenden Haltekräften.
| Mantelmaterial | Härtegrad | Reibwert | Typische Anwendung | Optimale Zugentlastung |
|---|---|---|---|---|
| PVC | mittel | mittel | Standardleitungen, Innenbereiche | Verschraubung, Klemmzugentlastung |
| PUR | hoch | hoch | Robotik, Schleppketten, Ölbeständigkeit | Klemmplatten, Federmechanik |
| TPE | weich–mittel | hoch | Sensorik, Temperaturbereiche | Verschraubungen mit größerer Klemmfläche |
| Gummi (H05RR-F) | weich | sehr hoch | Baustellen, flexible Werkzeuge | robuste Verschraubung + Knickschutz |
| Silikon | weich | gering–mittel | hohe Temperaturen | großflächige Klemmung, Metallplatten |
Diese Tabelle bietet eine Orientierung, welches System zu welchem Material am besten passt.
| System | Haltekraft | Vibrationsfestigkeit | Schutzgrad | Typische Anwendung | Hinweise |
|---|---|---|---|---|---|
| Klemmzugentlastung | sehr hoch | sehr hoch | niedrig | Maschinen, Motoranschlüsse | ideal für feste Installation |
| Kabelverschraubung | mittel–hoch | mittel | sehr hoch (IP67–69K) | Außenbereich, Schaltschränke | ideal bei Dichtung + Zugentlastung |
| Knickschutz | mittel | gering–mittel | mittel | bewegte Leitungen | nur als Ergänzung |
| Zugentlastungsleisten/Bügel | mittel | mittel | gering | Schaltschrankbau | sehr ordnungsstark |
| Wellrohr | abhängig vom Material | hoch | hoch | mechanische Zusatzbelastung | immer in Kombination |
Wichtige Auswahlkriterien
Die Wahl hängt ab von:
- Leitungsmantel (Materialhärte, Reibwert)
- Leitungstyp (H05VV-F, PUR, TPE, Gummi)
- Umgebung (chemisch, feucht, heiß, kalt)
- Vibrationslevel
- Schutzartanforderung (IP69K vs. IP20)
- Bewegungsfreiheiten
Häufige Fehler in der Praxis
- Leitung nur mit einer Dichtung „mitgeklemmt“ (keine echte Zugentlastung)
- Verschraubung zu stark angezogen → Mantel beschädigt
- falscher Biegeradius
- zu kleine oder zu große Klemmspannbereiche
- starre Tüllen für bewegte Leitungen
- Zugentlastung nach Wartung nicht nachgezogen
Systemempfehlungen nach Anwendung
Maschinenbau
- Klemmplatten (hohe Haltekraft)
- IP68/69K Verschraubung bei feuchter Umgebung
- Zugentlastungsleisten für Schaltschrank
Robotik
- Schleppkettenleitungen
- Spiralschutz + Knickschutz
- Zugkraftverteilung über Wellrohr
Schaltschrankbau
- Zugentlastungsleisten
- Kammsysteme für mehrere Leitungen
- klare Kabelführung mit Nummerierung
Außen- & Chemieanwendungen
- Messing- oder Edelstahlverschraubungen
- Doppeldichtsysteme
- UV-stabile Komponenten
Zugentlastungen sind entscheidend für Sicherheit, Haltbarkeit und Betriebskontinuität industrieller Anlagen. Je nach Umgebung, Belastung und Leitungstyp kommen unterschiedliche Systeme infrage. In vielen Fällen ist die Kombination mehrerer Lösungen – etwa Verschraubung + Bügelsystem + Knickschutz – die robusteste Variante.
Für Fragen zur optimalen Zugentlastung oder Auslegung Ihrer Netzleitungen unterstützen wir Sie gerne persönlich.